Es gibt nie nur die eine Wahrheit, nie nur die eine Wirklichkeit.
Es wäre so wunderbar, wenn es die eine richtige Wahrheit gäbe. Nur diese eine Wahrheit, die alles erklärt und vieles erleichtern würde. Da wir nur ihr glauben könnten. Alle. Eine Wahrheit, an der wir uns festhalten könnten, denn wir müssten uns nicht erklären. Wir müssten keine Worte finden für das, was in uns wirkt, und wir müssten auch nicht versuchen uns selber genauer zu verstehen in dem, was in uns passiert. Wir müssten den anderen nicht verstehen oder überzeugen von unserer gefühlten Wahrheit. Denn es gäbe ja nur die eine Wahrheit. Diese eine Wahrheit, die uns Recht gibt in unserem Erleben. Die uns einen Sinn gibt für das, was wir fühlen und tun. Sie würde keine Zweifel lassen, dass wir das Richtige fühlen und dass die anderen es genau so zu fühlen und zu erleben haben, wie wir selbst. Es wäre sehr viel leichter, würde es genauso funktionieren im Zusammensein.
Doch es gibt nie nur eine Wahrheit, nie nur eine Wirklichkeit. Es gibt nur das eigene individuelle Erleben in den unterschiedlichsten Situationen. Und jeder der Beteiligten in der gleichen Situation hat seine ganz eigene Wahrnehmung und der daraus resultierenden Wahrheit und Wirklichkeit, die sich für jeden von uns daraus ableitet.
Da es also viele Wahrheiten gibt und die sich daraus ergebenden Wirklichkeiten ableiten lassen, wird es für uns in unseren Beziehungen essenziell, sich auch für die anderen Wahrheiten zu interessieren. Oft leiden beide Seiten. Und auf beiden Seiten mag man es nicht, wenn man das ausspricht. Neugierde und Interesse an der Innenwelt des Anderen, ist das, was Beziehungen lebendig hält. Das Nachfragen, das Verstehen wollen, das Interesse am anderen, die Aufmerksamkeit. Den anderen auch zu sehen in seiner Not. Es geht darum, den anderen besser zu verstehen in seinem Erleben und in seiner Wirklichkeitskonstruktion. In seiner Wahrheit. Und natürlich auch sich selber immer besser auszukennen in den eigenen Wahrheitsgefilden.
In Beziehungen geht es darum, sich seiner eigenen, sich gefühlten wiederholenden Wirklichkeit bewusst zu werden und den anderen in seiner Wahrheit besser sehen zu können, ohne die eigene Wahrheit bedroht zu erleben. Häufig wünschen wir uns, dass es ein gemeinsames gleiches Erleben gibt. Doch das gibt es nur selten. Wenn wir da gemeinsam hinkommen, dass jeder von uns seine eigene Wahrheit und daraus resultierende Wirklichkeit hat, wird es zwar nicht leichter, aber schöner sich näher zu kommen. Das Verstehen wird leichter.
An welcher Wahrheit halte ich zur Zeit fest?
Welche Wirklichkeit kreiere ich aus meiner Wahrheit?
Wo und wann fällt es mir schwer die Wahrheit des andern zu sehen?
Welchen Teil meiner Wahrheit verteidige ich immer?
Was wäre gut daran auch den anderen in seiner
Wahrheit wahrzunehmen?
Mit welchen Wahrheiten in mir bin ich häufig beschäftigt?